Was ist Symboldidaktik?

Symbole: Die Sprache der Religion

Symbole sind die Sprache der Religion. Diese Erkenntnis hat sich für die Religionspädagogik in der populären Begrifflichkeit der "Symboldidaktik" niedergeschlagen. Symboldidaktik ist auch für die religiöse Erziehung und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung  relevant. Seltener allerdings wird erörtert, was religiöse Symbole auszeichnet und welche Formen der Symbolisierungstätigkeit sich unterscheiden lassen. Dieser Artikel möchte in die theologischen, religionspädagogischen und humanwissenschaftlichen Grundlagen der Symboldidaktik einführen.

Die Perspektive der Theologie und Religionspädagogik

"Maria aber behielt alle diese Worte
und bewegte sie in ihrem Herzen."
Lukas 2,19

 

Die Bibel spricht nicht über Symbole, sondern in Symbolen.

Der Begriff „Symbol“ ist vielgestaltig.  Im weitesten Sinne kann man es als ein Zeichen betrachten. Das Wort συμβολον (symbolon) stammt von dem altgriechischen Verb συμβαλλειν (symballein), was ungefähr so viel heißt wie Zusammenfügen. Im Neuen Testament suchen wir den Begriff symbolon vergebens, allerdings finden wir ein Partizip von "symballein" an einer interessanten Stelle, nämlich am Ende der Weihnachtsgeschichte. Luther übersetzte die Szene, in der Maria die Worte der Hirten aufnimmt und bewahrt, mit: „im Herzen bewegen“. Ist Maria damit die erste Symboldidaktikerin? Wohl kaum. Doch zeigt diese Stelle, wie schwebend die Wortbedeutung ist. Und dass zum Symbol eine Verstehensleistung dazugehört, die etwas zusammenfügt, Göttliches und Menschliches – auch mit dem Herzen.   
Was qualifiziert religiöse Symbole?  
Wie gesagt, kann man den Begriff Symbol im weitesten Sinne übersetzen mit "Zeichen". Leider stimmt der religionspädagogische, bzw. theologische Symbolbegriff nicht mit demjenigen der Zeichentheorie überein. Zeichentheorie begegnet uns auf ganz praktische Weise z.B. in der Unterstützten Kommunikation: Wir nennen Symbole dort ja die Zeichen, die einen 1:1-Bezug in Kommunikationssituationen besitzen. So zum Beispiel bezeichnet das Symbol Apfelsaft das bestimmte Getränk und nichts anderes. Mit dieser 1:1 Zuordnung von Symbol und Bezeichnetem wird die gelingende Kommunikation sichergestellt. Diese Auffassung allerdings würde religiöse Symbole ziemlich eindimensional und instrumentalisierbar machen.
Paul Tillich1 , sozusagen ein Klassiker der Symboltheologie gibt uns einige Kriterien an die Hand, die religiöse Symbole auszeichnen :

  •  Symbole haben Verweischarakter, der auf einer Konvention basiert. Sie deuten also auf etwas hin: Die rote Ampel weist darauf hin anzuhalten.
  • Religiöse Symbole haben Anteil an dem, worauf sie hinweisen.
  • Religiöse Symbole erschließen Dimensionen der Wirklichkeit, die anders nicht zu erreichen wären. Zum Beispiel den Bereich der Transzendenz, der über die empirisch erfahrbare Wirklichkeit hinausgeht. der Und sie eröffnen Dimensionen der eigenen Seele, die Tiefen des eigenen Seins.
  • Religiöse Symbole lassen sich nicht bewusst produzieren, sondern entstehen in einem kollektiven Bewusstsein. Dies muss nicht immer tiefenspsychologisch sein: Symbole können ebenso als identitätsstiftende Zeichen  
  • Religiöse Symbole haben 'ihre Zeit' und lassen sich nicht durch wissenschaftliche Kritik verdrängen.   
  • Vor allem sah Tillich aber die mögliche Ambivalenz der Symbole: Damit meinte er die Gefahr, dass Symbole auch missbraucht werden können. Etwa zur Legitimation staatlicher Unrechtsherrschaft, wie dies der Nationalsozialismus in Deutschland bewiesen hat.

 


Abbildung 1: Charakteristika religiöser Symbole nach Paul Tillich

Religiöse Kommunikation, die ja eine empirische Erfahrung übersteigt und eine dahinterliegende Wirklichkeit zu erfassen sucht, kann demnach gar nicht anders als über Symbole stattfinden.   

Die Perspektive der Humanwissenschaften

Unter dieser Perspektive möchte ich den Symbolbegriff unter humanwissenschaftlichen Gesichtspunkten, der Psychologie und Anthropologie, entfalten.

Präsentative und diskursive Symbole

Der Psychologe Jean Piaget, der der Entwicklung der Symbolfunktion eine eigene Monografie widmete,  unterschied Zeichen von Symbolen. Dabei gestand er Symbolen eine Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten zu, die die Zeichen nicht notwendig aufweisen mussten.  
Weitaus einflussreicher für den humanwissenschaftlichen Symbolbegriff erwiesen sich die philosophischen Arbeiten zu den Symbolischen Formen von Ernst Cassirer in den 1920er Jahren. Diese wurden von der amerikanischen Philosophin Susanne Langer aufgenommen und weitergeführt. Langer fasste Symbole weniger als materielle Größen auf, sondern als geistige Formen des Verstehens, als Deutungen. Damit bereitete sie den Symbolbegriff für die Psychologie vor. Langer unterschied präsentative und diskursive Symbole und orientierte sich dabei weitgehend an anthropologischen Bedingungen.
Diskursive Symbole sind solche, die durch Sprache transportiert werden. Ihnen eignet die Besonderheit der Sprache zu: Aspekte des Symbols werden nacheinander entfaltet, sie können in sprachlich darstellbaren Kategorien analysiert werden. Daneben gibt es noch ein Feld der symbolischen Semantik, der sich nicht durch Sprache ausdrücken lässt: Bilder, Plastiken und Musikstücke zum Beispiel wirken, indem sie eine Fülle von Eindrücken gleichzeitig und nicht über Sprache präsentieren.
Wiederum wurde der Ansatz Langers von dem deutschen Psychoanalytiker Alfred Lorenzer2 erweitert. Lorenzer, der im Übrigen viel zur Revision des Freudschen Symbolbegriffes in der Psychoanalyse beigetragen hat, griff das Konzept der präsentativen und diskursiven Symbole auf. Er verfeinerte darüber hinaus die Gruppe der präsentativen Symbole. Dazu teilte er sie in gegenständliche (z.B. ein Kreuz), textuelle (z.B. Psalm 23) und  personale (z.B. ein Ritual, eine Körperbewegung, Tanz usw.).
Damit stellte er ein Symbolkonzept zur Verfügung, das in seiner humanwissenschaftlichen Verankerung einen nach meiner Meinung hervorragenden Ausgangspunkt für religionspädagogische Überlegungen bildet.
 


Abbildung 2: Präsentative und diskursive Symbole in Abgrenzung zu Zeichen und Klischees,  nach Lorenzer

Symbole verstehen oder Symbole erleben?

Vor dem Hintergrund seiner Glaubensentwicklungstheorie rekonstruierte James W. Fowler3   verschiedene Stufen des Symbolverständnisses, die auch in der deutschsprachigen Religionspädagogik diskutiert wurden. Man erkennt den Einfluss der piagetschen Strukturgenetik:

  • das magisch–numinose Verstehen (2-6 Jahre): Kinder leben in einer plastischen, magischen Bilder- und Symbolwelt. Zwischen Real und Nichtreal wird in der Regel nicht unterschieden  
  • das eindimensional–wörtliche Verstehen (7-12 Jahre): symbolische religiöse Aussagen werden wörtlich genommen. Das bedeutet, dass symbolische Begriffe wie "Himmel" und "Hölle" wörtlich verstanden und als Orte aufgefasst werden.
  •  das mehrdimensional–symbolische Verstehen (13-21 Jahre): Aufgrund der kognitiven Kompetenz wird die übertragene Bedeutung von Symbolen erkannt. Allerdings sieht Fowler, dass Symbole immer noch schwer zu trennen sind von dem, was sie symbolisieren.  
  • Das symbolkritische Verstehen (21-35 Jahre) ermöglicht die distanziertere Betrachten von Symbolen, auch mit der Tendenz sie hinterfragen zu können.
  • Das nachkritische Verstehen (>35 Jahre) ermöglicht es trotz kritischer Reflektionsgabe, quasi ein zweites Mal zu einer ursprünglichen, kindlichen Begegnung mit den Symbolen zurückzukehren. Paul Ricoeur nannte dies die "Zweite Naivität".

Bei allen Vorbehalten einer vorschnellen Übertragung dieser Erkenntnisse auf Menschen mit geistiger Behinderung (S. meinen Themenartikel "Religiosität") möchte ich zunächst anmerken, dass ich zumindest eine rein kognitiv-strukturelle Engführung des Symbolumgangs für zu kurz gegriffen erachte. Allenfalls trifft sie auf die diskursiven Symbole zu. Präsentative Symbole bedienen sich eines anderen psychischen Prozesses, der mit Verdichtung, Übertragung und Verschiebung von Bedeutungen arbeitet. Beide Prozesse, sowohl der der diskursiven als auch der präsentativen Symbole sind meiner Meinung nach gleichursprünglich (ausführlicher in meiner Dissertation: Anderssohn 2002, S. 341 ff.)!

Mit anderen Worten: Präsentative Symbole besitzen nicht eine primitivere geistige Qualität als ihre diskursiven Pendante, sondern eine ergänzende geistige Repräsentationsform, die sich parallel entwickelt. Das heißt: Ich kann beide Symbolformen ineinander überführen – allerdings mit gewissen semantischen Verlusten (z.B. wenn ich versuche, eine Musikaufführung mit Worten wiederzugeben).      

Symboldidaktische Konzeptionen

Halbfas und Biehl: Zwei Gegensätze?

Wer sich eingehender mit Symboldidaktik beschäftigt, stößt schnell auf die 'großen' symboldidaktischen Konzeptionen von Hubertus Halbfas (*1932) und Peter Biehl (1931-2006). Oftmals werden diese Konzeptionen auch gegensätzlich gegenübergestellt. Halbfas, der katholische Grundschuldidaktiker mit einem erfahrungsorientierten Zugang und Biehl in guter protestantischer Tradition, der Symbole kritisch reflektiert wissen will. Meiner Auffassung nach ist diese Gegensätzlichkeit erstens weniger das Ergebnis der unterschiedlichen Konfessionen und Ziuelgruppen der Autoren, sondern vielmehr als Folge der Fokussierung einer jeweils anderen Form der Symbole: Halbfas zielt auf präsentative, Biehl mehr auf diskursive Symbolik. Und zweitens sehe ich sie nicht als Ggensätzlichkeit, sondern eher als Komplementarität.  

 „Genetische Elementarisierung“ durch Symbole?

Einen für die Sonderpädagogik interessanten Vorschlag hat Hans-Günter Heimbrock4   mit der "genetischen Elementarisierung" eingebracht. Diesem Ansatz zufolge geht es gerade im Blick auf schwerer behinderte Schüler darum, biblische Geschichten auf sinnlich-wahrnehmbare Symbole zu elementarisieren. Das bedeutet also, biblische Inhalte in präsentativen Symbolen elementar werden zu lassen.
Ich halte diese Idee für ebenso gerechtfertigt wie überhaupt notwendig im Religionsunterricht mit Schülern mit geistiger Behinderung. Allerdings sehe ich diese Form ja nicht als eine ursprünglichere Symbolisierungstätigkeit, auf die ich zurückgehen kann, wenn über Sprache 'nichts mehr geht'. Erstens wird auch beim Umgang mit präsentativer Symbolik Sprache anwesend sein. Zweitens ist es fraglich, ob sich alle biblischen Geschichten mit ihrer komplexen, teilweise paradox anmutenden Thematik (ich denke hier an das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg) immer so glatt auf präsentative Symbolik reduzieren lassen.
Dennoch ist die genetische Elementarisierung ein interessanter Ansatz, der möglicherweise für die gesamte Religionspädagogik relevant ist und weiter theoretisch wie praktisch entfaltet werden sollte.  

Eingangs hatten wir festgestellt, dass sich Religion gar nicht anders als in Symbolen ausdrücken kann. Abschließend möchte ich daher zusammenfassen, dass es nicht darum geht, ob wir im Religionsunterricht Symboldidaktik machen oder nicht. Religionsunterricht in meinen Augen ist zur Arbeit mit Symbolen 'verdammt'. Deshalb ist es so notwendig, über die theologischen und humanwissenschaftlichen Grundlagen der Symbolbildung differenziert Bescheid zu wissen.

Woher bekomme ich mehr Informationen zum Thema?

Dieser knappe Artikel konnte das Thema nur an der Oberfläche anreißen. Wenn Sie sich weiter darüber informieren und es vertiefen wollen, dann helfen Ihnen die folgenden Hinweise:

  • Die umfassende Forschungsarbeit und die theoretischen Hintergründe in  wissenschaftlicher Darstellung finden Sie in meiner Dissertation: Anderssohn, S. (2002): Religionspädagogische Forschung als Beitrag zur religiösen Erziehung und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung. Diss. Univ. Kiel Franfurt/M.: Lang, hier insbesondere die Seiten 341-346
  • Ich plane eine allgemeinverständliche Buchveröffentlichung zum Thema: Mehr Informationen zu diesem Projekt finden Sie [hier] .
  • Speziellere und weitergehende Frage beantworte ich Ihnen natürlich gerne. Sie erreichen mich über die Kontaktseiten von www.reliforum.de oder www.anderssohn.info.

Literaturnachweise

1 Tillich, P. (1986): Symbol und Wirklichkeit. 3., ergänzte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ergänzend auch: Tillich , P. (1961): Wesen und Wandel des Glaubens. Frankfurt/M.: Ullstein

2 Lorenzer, A. (1984): Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Frankfurt/M.: Fischer

3 Fowler, J.W. (1991): Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn. Gütersloh: Mohn

4 Heimbrock, H.-G. (1986): Perspektiven der Elementarisierung als Hilfe für den Religionsunterricht mit lernbehinderten und geistigbehinderten Schülern. Zeitschrift für Heilpädagogik 37, 96-104

Über den Autor

Dr. Stefan Anderssohn ist Sonderschullehrer und Religionspädagoge. Er ist in der Aus- und Fortbildung tätig und hat zur Religiosität von Menschen mit geistiger Behinderung umfangreich geforscht. Stefan Anderssohn arbeitet u.a. als Religionspädagoge mit Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung und Körperbehinderung an einem großen Schul- und Therapiezentrum in Norddeutschland. Er ist außerdem seit dem Jahr 2000  Betreiber des Internetportals www.reliforum.de, dem Forum "Religionspädagogik & Geistigbehindertenpädagogik". Mehr über den Autor erfahren Sie unter www.anderssohn.info .  

Diesen Artikel zitieren?

Anderssohn, S. (2007): Artikel: "Symbole: Grundlagen", erschienen bei www.reliforum.de. URL: http://reliforum.anderssohn.info/index.php/reliforum-artikel/75-was-ist-symboldidaktik