Was ist "Elementarisierung"?

Elementarisieren = Reduzieren?

"Elementarisieren" bedeutet , einen Lerngegenstand zu vereinfachen. Das heißt jedoch nicht, bloß Lernstoff wegzulassen oder Texte zu kürzen. Ob Unterricht nun für Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf geplant wird oder nicht: Für alle Pädagog/innen ist eine dem Lerngegenstand und dem  Lernniveau angemessene Vereinfachung tägliches Handwerk. Erfahren Sie hier mehr über die Hintergründe, Dimensionen und Möglichkeiten der religionspädagogischen Elementarisierung...

Einführung

Die Idee der Elementarisierung geht zurück auf die bildungstheoretische Didaktik.  Ende der Fünfzigerjahre  des 20. Jahrhunderts  veröffentlichte  Wolfgang Klafki   einen Aufsatz, in dem er zwischen dem Elementaren, dem Fundamentalen und Exemplarischen zur Auswahl  von Bildungsinhalten unterschied. Dabei meinte er mit dem "Elementaren" einen Bildungsinhalt, der über sich selbst hinausweist, praktisch einen größeren Zusammenhang aufschließt.

Während dieses Konzept Klafkis in der Allgemeinen Didaktik eher wenig Resonanz fand, wurde es in der evangelischen Religionspädagogik unter dem Titel "Elementarisierung" weiter entwickelt. Hierbei gingen wesentliche Impulse vom Comenius-Institut aus. Hans Stock, Ingo Baldermann und Karl Ernst Nipkow zählen zu den herausragenden Vertretern des Elementarisierungs-Gedankens in der Religionspädagogik .

Die vier (fünf) Dimensionen von Elementarisierung

Auf übergeordneter Ebene lässt sich Elementarisierung verstehen als Methode, Unterricht vorzubereiten, bzw. wichtige Zusammenhänge für den RU zu identifizieren. Die zurzeit gebräuchlichste Konzeption von Elementarisierung wurde von Nipkow entwickelt. Sie zeichnet sich zum einen durch ihre hohe Praktikabilität aus - machte Nipkow doch die Unterrichtsvorbereitung zum Ausgangspunkt der pädagogischen Überlegungen. Andererseits ist sie mit ihren zunächst vier - später dann durch Friedrich Schweitzer auf fünf erweiterten - Dimensionen auch recht "griffig". 

Grundsätzlich vollzieht sich Elementarisierung  dabei zwischen  den beiden Polen Subjekt und Fachwissenschaft. Für unseren Fall ist diese Bezugswissenschaft die Theologie. Da der Religionsunterricht naturgemäß sehr oft biblische Texte zum Thema hat, sind biblische Texte häufig Ausgangspunkt von Elementarisierungsfragen. Auf der anderen Seite bilden die Schüler/innen mit ihrem Verstehens- und Erfahrungshorizont die zweite Bezugsgöße der Elementarisierung.

Bei der Methode der Elementarisierung geht es bildlich gesprochen darum, die verschiedenen Dimensionen in einem gemeinsamen Brennpunkt möglichst zur Deckung zu bringen. Zu diesen Dimensionen gehören nach Nipkow:

in fachlich-wissenschaftlicher Hinsicht :

  • elementare Strukturen können zweierlei bedeuten: Erstens (auf textlicher Ebene) die wesentlichen Bestandteile eines Handlungs- oder Sachzusammenhanges. Zweitens (auf theologischer Ebene) die Frage, ob der gewählte Text wesentliche Aspekte des theologisch anvisierten Zusammenhanges widergibt oder nur einen "Nebenschauplatz" darstellt.
  • elementare Wahrheiten: die fundamentalen theologischen Wertaussagen und religiösen Normen, die z.B. mit einem Text transportiert werden (in den Erzvätererzählungen etwa: Abraham vertraut ganz auf Gott)

die Schüler/innen betreffend

  • elementare Anfänge: die Verstehensvoraussetzungen der Schüler/innen in sozio-kultureller  und kognitiver  Hinsicht, also was die Sozialisation und die religöse Entwlicklung anbelangt.
  • elementare Erfahrungen: die relevanten Lebenserfahrungen, die die Schüler/innen bewegen.

Konsequenzen für die Unterrichtsmethodik :

  •  elementare Formen des Lernens: (Diese Dimension ist ursprünglich nicht in Nipkows Modell enthalten, sondern wurde rund 15 jahre später durch Friedrich Schweitzer eingebracht.) Elementarisierung muss ihren praktischen Ausdruck in angemessenen Lernformen finden. Schweitzer zählt zu den elementaren Lernformen etwa: kreatives Arbeiten, Rollenspiel, eigene Textgestaltunen und Verfremdungen.   

 
(c) Grafik: Stefan Anderssohn 

Texte elementarisieren

Während die obigen Ausführungen die Elementarisierung als Form der Unterrichtsvorbereitung  betreffen, lässt sich das Konzept auch auf biblische Texte anwenden. Hierbei liegt der Schwerpunkt darauf, den Inhalt der Bibeltexte durch Veränderung ihrer Gestalt für verschiedene Verstehenshorizonte (sozio-kulturell oder kognitiv) zu erschließen. Im Kern handelt es sich um die adressatenbezoge Anpassung des Textmaterials - unter den gegebenen fachwissenschaftlichen Maßgaben natürlich. Vielfach werden elementarisierte Texte als Vorlagen für Erzählungen angefertigt.  

Lassen sich alle Texte gleichermaßen gut elementarisieren? Nein. Ich denke, dass ich vor allem "handfeste" Geschichten mit einem klaren Plot gut für eine Elementarisierung eignen.

Überprüfen Sie das daran, ob sich aus Texten anschauliche Figuren, Abläufe/Wege/Orte oder Symbole extrahieren lassen. Sind zumindest zwei der Bedigungen erfüllt, dann kann man von einem gut elementarisierbaren Text sprechen, meine ich.

Weitere Anregungen für das Elementarisieren von Texten, für den Einsatz als Erzählvorlagen beispielsweise, sind:

  • Entwerfen Sie (auch im Geiste) ein kurzes Storyboard: Welche Personen spielen an welchem Ort? Welche wesentlichen Elemente/Stationen gibt es im Ablauf? Sollte der Erzähltext auf mehrere Unterrichtsstunden verteilt werden?
  • In der Kürze liegt die Würze: Bilden Sie kurze, prägnante Satzeinheiten.
  • Verwenden Sie Hauptsatzkonstruktionen und vermeiden Sie Nebensätze sowie die Anknüpfungen mit "und".
  • Verwenden Sie wörtliche Rede in Dialogen!
  • Wecken Sie Bilder! Wählen Sie eine bildhafte, ausdrucksvolle Sprache.
  • Lassen Sie wichtige Wörter ruhig wiederholt auftreten.
  • Ersetzen Sie ungewöhnliche Begriffe oder Abstrakta durch Beschreibungen oder alternative Begriffe der Lebenswelt der Adressaten.  ("Jünger" müssen aber nicht immer die "Freunde"  Jesu sein...)
  • Die Verwendung der Zeitform Gegenwart in der Erzählung erhöht nach Ansicht vieler Autoren die Spannung. (Ich finde, dass dieser Hinweis nicht ideologisch gehandhabt werden sollte.)    

Symbole und Elementarisierung  

Wie oben bereits angedeutet, besteht zwischen Elementarisierung und dem Einsatz von Symbolen ein Zusammenhang. Es würde im Rahmen dieses Artikels zu weit führen, verschiedene Typen von Symbolen (diskursiv-sprachliche und präsentative Symbole) insbesondere im Hinblick auf die Chrakteristika religöser Symbolik zu erörtern. Folgende grundlegenden Aussagen sind jedoch auch vom rein praktischen Standpunkt aus richtig: 

  • Symbole sind die eigentümlichsten Ausdrucksformen von Religion. Religionspädagogik bedient sich  daher der Symbolik in Sprache, Bild, Gegenstand oder Klang. 
  • Je mehr ich basale religiöse Lernangebote mache, desto stärker bin ich auf den Einbezug handgreiflicher Symbolik angewiesen (Gegenstände, Bilder oder Musik). Der Religionsunterricht mit Schüler/innen mit geistiger Behinderung lebt von solchen Symbolen!   

Hans-Günter Heimbrock [1] hat die Frage von Symbolen und Elementarisierung in einem Aufsatz vertieft und dabei den Ansatz einer "genetischen Elementarisierung" entworfen.  Er schlägt vor, religiöse/biblische Inhalte für die Schülergruppe lern- und geistigbehinderter Schüler/innen anhand basaler Symbole zu elementarisieren. Mit basalen Symbolen sind wahrscheinlich so genannte "präsentative" Symbole nach der Auffassung Lorenzers und Langers gemeint. Ich halte diesen Ansatz der genetischen Elementarisierung auch zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen für äußerst interessant und keineswegs voll ausgeschöpft. Zeichnet Heimbrock zwar die Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit anhand von verschiedenen Beispielen richtig auf, so ist aus meiner Sicht zweierlei hinzuzufügen:

  1. Die Wurzel der basalen, sprich: präsentativen Symbole ist nicht nur vorsprachlich. Wie ich in meiner Dissertation [2] nachgewiesen habe, gehen diese Art der Symbolbildung und Sprache nicht auseinander hervor, in dem Sinne, dass Sprache eine "reifere" Form der Symbolisierungstätigkeit wäre. Vielmehr liegen beiden Symbolisierungsfähigkeiten zwei unterschiedliche psychische Prozesse zugrunde.
  2. Wird diese Unterscheidung zu wenig beachtet, muss auch das Konzept der genetischen Elementarisierung an Grenzen stoßen. Etwa im Verhältnis von Symbol und Sprache: Wird die biblische Aussage (Sprache) selbstgenügsam durch das Symbol repräsentiert? Inwieweit muss Sprache hinzutreten, etwa um individuelle negative Symbolbesetzungen aufzufangen oder das Symbol mit seiner Botschaft aufzuladen (sofern man nicht davon ausgeht, dass ein Hirtenstock oder ein Schaffell per se das Gefühl wecken, von einem guten Hirten behütet zu sein)?           

Eine weitere Diskussion dieses meiner Meinung nach überaus interessanten Ansatzes soll aber unter der Thematik religiöse Symbole erfolgen.

Lesetipps für die Weiterarbeit und zur Vertiefung

  • Ein sehr empfehlenswerter und ausführlicher Artikel zum Thema Elementarisierung von Manuela Schriegel, 08.08.2002, erschienen in der Online-Zeitschrift Theophil-online;  Online im Internet URL: http://www.theophil-online.de/philipp/mfphil6.htm [Artikel lesen]
  • Die Dissertationsarbeit "Elementarisierung als Forderung an die Religionsdidaktik mit geistigbehinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen" von Norbert Heinen, als PDF-Dokument: http://www.uni-koeln.de/hp-fak/gb/personal/element.pdf  [Arbeit downloaden]
  • Ein sehr ausführlicher Lexikonartikel:Elementarisierung In: Lexikon für Religionspädagogik, hg. N. Mette/ F. Rickers, Neukirchen 2001, Sp. 382-388, online im Internet: http://www.philso.uni-augsburg.de/web2/EVRelpaed/Laemmermann/Elementarisierung.html [zur Downloadseite ]

Literaturnachweise 

[1] Heimbrock, Hans-Günter (1986): Perspektiven der Elementarisierung als Hilfe für den Religionsunterricht mit lernbehinderten und geistigbehinderten Schuelern. In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 37 (1986) 2, S. 96-104
[2] Anderssohn, S. (2002): Religionspädagogische Forschung als Beitrag zur religiösen Erziehung und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung. Diss. Univ. Kiel Franfurt/M.: Lang, für diesen Zusammenhang insbes. S. 342 ff.

Über den Autor 

Dr. Stefan Anderssohn ist Sonderschullehrer und Religionspädagoge. Er hat zur Religiosität von Menschen mit geistiger Behinderung umfangreich geforscht. Stefan Anderssohn arbeitet u.a. als Religionspädagoge mit Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung und Körperbehinderung an einem großen Schul- und Therapiezentrum in Norddeutschland. Er ist außerdem seit dem Jahr 2000  Betreiber des Internetportals www.reliforum.de, dem Forum "Religionspädagogik & Geistigbehindertenpädagogik" . Mehr über den Autor erfahren Sie unter www.anderssohn.info

Diesen Artikel zitieren?

Stefan Anderssohn (2007): Artikel "Elementarisierung"; erschienen bei www.reliforum.de. URL: http://reliforum.anderssohn.info/index.php/getting-started/71-elementarisierung