Rezension: Differenz als Chance - Lernen in der Begegnung (FHRP Band 2)

Das Buch - vollständige bibliografische Daten

Differenz als Chance - Lernen in der Begegnung / Forum für Heil- und Religionspädagogik. Annebelle Pithan, Stephan Leimgruber, Martin Spieckermann (Hg.). Comenius-Institut Münster. - Münster : Comenius-Institut, 2003, 127 S. (Forum für Heil- und Religionspädagogik ; Bd. 2) ISBN 3-924804-57-5 [Bestellen]

Entstehungshintergrund

Das Forum Heil- und Religionspädagogik, das vom Deutschen Katecheten-Verein und dem Comenius-Institut getragen wird, organisiert in zweijährigem Abstand Veranstaltungen mit Vorträgen und Workshops im Schnittpunkt von Heil- und Sonderpädagogik. Die Beiträge der namhaften Referentinnen und Referenten werden regelmäßig in den Sammelbänden des Forum veröffentlicht und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der vorliegende Band vereint Aufsätze und Praxisbeiträge der Forumsveranstaltung im April 2002, die unter dem Titel stand: Differenz als Chance – Lernen in der Begegnung".

Das Thema

Beim Thema 'Behinderung' wird oft die Verschiedenheit betont. Sie kann Unsicherheiten wecken, das Miteinander und den Kontakt erschweren – oder aber eine Bereicherung sein! Ganz im letzten Sinne wollen 13 Autorinnen und Autoren aus Gemeinde, Schule und Erwachsenenbildung den Chancen nachgehen, die die Differenzerfahrung für die Theorie und Praxis der Religionspädagogik in heilpädagogischen Handlungsfeldern besitzt.

Inhalt

Nach einer kurzen meditativen Betrachtung des Buchtitelbildes durch Andreas Schultheiß eröffnet der intelligente Aufsatz von Ina Praetorius die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik: Vor dem Hintergrund einer diagnostizieten MS stellt die Autorin das Konstrukt einer unwandelbaren Identität als Grundlage des zwischenmenschlichen Kontakts in Frage. Stattdessen entwickelt sie ein Konzept der wandelbaren, d.h. stets gefährdeten Identität, um diese Erfahrungen zum Ausgangspunkt einer „Theorie des guten Zusammenlebens“ zu machen. Ein meiner Meinung nach interessanter Ansatz, der durch die persönlichen Erfahrungen Praetorius' eine besondere Tiefe aufweist.

Michael Wunder plädiert aus humangenetischer Sicht für das „Recht auf Zufall“ und hinterfragt den Allgemeinplatz der Genforschung sachkundig, inwieweit eine differente Erbanlage überhaupt das Auftreten einer Störung determiniert. Nach der ebenso profunden Darstellung der gesellschaftlichen Bedeutung der Invitro-Fertilisation und Pränataldiagnostik findet Wunder mit drei begründeten Prinzipien: Autonomie, persönliche Verantwortung und Kontakt und Begegnung ein in der Humanistischen Psychologie verankerte Begründung für das Leben in genetischer Differenz.

Jutta Schöler fasst den Bildungsaspekt ins Auge und erläutert anhand eines Falles am „Aussonderungsblick“ und „Integrationsblick“, dass das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Schülern ihrer Meinung nach der normalerer Weg ist.

Anita Müller-Friese und Martin Spieckermann entfalten in ihrem Beitrag die religionspädagogischen Chancen der Wahrnehmung von Differenz und konkretisieren dies anhand der Menschenbildfrage und ihrer Auswirkung auf den schulischen Kontext. Sie gelangen zu drei Kernthesen, die die Rolle des Religionsunterrichtes für die Schule bekräftigen und ihm zugestehen, Unterschiede wahrzunehmen und zu respektieren.

Den ersten Beitrag „aus der Praxis“ bringt Stephan Eichinger zu körperorientierten Methoden im Religionsunterricht, am Beispiel der Lukas-Perikope (Lk 13,10-17) „Jesus und die gekrümmte Frau“. Nach einleitenden Aussagen zur Methodik stellt Eichinger praktische Umsetzungsmöglichkeiten unter den Schwerpunkten: Wahrnehmen, Identifizieren und Verinnerlichen dar.

In der Thematik folgt ihm dabei der Beitrag von Klaus Nepple, der mit Karlfried Graf Dürckheims Ansatz die religiöse Dimension der Leiblichkeit von Menschen mit geistiger Behinderung beleuchtet.

Ein in der letzten Zeit offenbar immer mehr beachtetes Thema schneidet der Aufsatz von Thomas Holzbeck an, nämlich „Sterben und Tod in der Sonderschule“. Dabei bleibt der Autor keineswegs bei übergeordneten Aussagen stehen, sondern gibt ganz konkrete Hinweise für Verabschiedungsrituale, für Rituale, die die Trauerarbeit unterstützen oder Beispiele für die Unterrichtsarbeit und die Einbindung in alltägliche Situationen.

Andreas Schultheiß wiederum stellt seine Methode dar, Bilder mit Schülern „in Szene zu setzen“. Dies ist eine interessante Methode, die meins Erachtens viel Potential für die Arbeit mit Schülern birgt. Der Autor gibt neben der Beschreibung von Aufführungen und persönlichen Erfahrungen konkrete Hinweise für den Einsatz dieser Methodik im Unterricht.

In ihrem kurzen Artikel macht Beate Schultes sich aus Sicht einer Betroffenen dafür stark, dass es nicht nur das gute Recht zweier behinderter Eltern ist, Kinder zu haben, sondern dass diese Konstellation auch viele Vorteile birgt und nicht zuletzt im Sinne der Vielfalt sowieso die normale Lebensform ist.

Unter der Perspektive der Erwachsenenbildung zeigt Matthias Hugoth mit seinem Beitrag „Integrative Bildungsarbeit mit behinderten und nichtbehinderten Erwachsenen“ die Bedingungen und Konsequenzen für eine Erwachsenenbilung auf, die sich für Menschen mit Behinderung öffnet.

Mit dem Begriff „Exerzitien“, auf den sich Claudia Kobold in ihrem Aufsatz bezieht, markiert die Autorin ein spirituelles Angebot, welches sie als Kontaktmöglichkeit für behinderte und nichtbehinderte Menschen sieht. All denjenigen, die eine ähnliche Unternehmung planen, bietet der Aufsatz konzeptionelle Hintergründe und ein detailliertes Planungsbeispiel für zwei Exerzitien-Tage.

Zielgruppe

Die Veröffentlichung richtet sich in erster Linie an praktisch arbeitende Religionspädagog/innen. Studierende, Lehrende, aber auch weitläufiger interessierte werden sich anhand der Veröffentlichung einen Einblick in die aktuelle Entwicklung der Religionspädagogik auf dem Gebiet der Sonderpädagogik verschaffen können.

Fazit

Der Forum-Band „Differenz als Chance“ zeigt aktuelle Themen und Entwicklungen im Schnittpunkt von Religions- und Heilpädagogik auf. Das macht ihn für Studierende und Lehrende in Schule und Hochschule interessant. Insgesamt fällt dieser Band jedoch nicht so reichhaltig praxisbetont aus wie sein Vorgänger aus dem Jahre 2001.

Weiterführende Links

 

Über den Rezensenten

Dr. Stefan Anderssohn ist Sonderschullehrer und Religionspädagoge. Er hat zur Religiosität von Menschen mit geistiger Behinderung umfangreich geforscht. Stefan Anderssohn arbeitet u.a. als Religionspädagoge mit Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung und Körperbehinderung an einem großen Schul- und Therapiezentrum in Norddeutschland. Er ist außerdem seit dem Jahr 2000  Betreiber des Internetportals www.reliforum.de, dem Forum "Religionspädagogik & Geistigbehindertenpädagogik". Mehr über den Autor erfahren Sie unter www.anderssohn.info

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Anderssohn, Stefan: Rezension vom 28.4.2007 zu: Annebelle Pithan, Stephan Leimgruber, Martin Spieckermann (Hgg.): Differenz als Chance - Lernen in der Begegnung / Forum für Heil- und Religionspädagogik. Comenius-Institut Münster. - Münster : Comenius-Institut, 2003. Erschienen bei reliforum.de. URL: http://reliforum.anderssohn.info/index.php/reliforum-artikel/113-rezension-differenz-als-chance-lernen-in-der-begegnung-fhrp-band-2 Stand: [*Ihr Abrufdatum*] .