Aneignungsformen und Zugangsweisen
Für einen entwicklungsmäßig differenzierten Religionsunterricht spielen die so genannten "Aneignungsformen" oder "Zugangsweisen" eine zentrale Rolle. Sie beschreiben unterschiedliche Lern-Wege, über die sich Schülerinnen und Schüler ihre Umwelt - und damit auch religiöse Lerninhalte - zueigen machen.
Diese Lern-Wege geben wichtige Hinweise darauf, wie Unterrichtsinhalte für Schüler angemesen dargeboten werden können: basal, über die Nahsinne, über gegenstandsbezogenes Tätigsein, körperlichen Ausdruck oder Bilder, konkrete oder abstrakte Begriffe.
körperlich-sensorische AneignungsformEine körperlich-sensorische Zugangsweise bedeutet, die Aneignung geschieht mit den Sinnen: Diese basale Aneignungsformen bildet die grundlegendste Auseinandersetzung mit der Umwelt, nämlich über die Sinneswahrnehmung (Perzeption). Dabei ist die Person, die sich auf diese Weise ihre Umwelt aneignet, »ganz bei sich«, d.h. sie agiert im unmittelbaren Körperfeld auf das ihr ganzes Handeln bezogen bleibt. Dies geschieht aber nicht nur passiv, sondern auch aktiv in der Reaktion bzw. Zuwendung zu einem Reiz. Aufsteigend von den Nah- zu den Fernsinnen: Angesprochen werden die folgenden Sinne: |
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gegenständlich-motorische AneignungsformIm Mittelpunkt dieser Handlungsform steht die aktive, entdeckende Auseinandersetzung mit der dinglichen und personalen Umwelt, im handelnden Umgang mit Gegenständen, die gemäß ihrer Funktion eingesetzt werden. Zentrale Stichwörter sind Bewegung, Funktionslust und Erkunden und Konstruieren. Die Bewegung stellt dabei ein wesentliches Prinzip dar, wobei die Motorik sich den "Gegenständen" anpasst, womit nicht nur materielle Sachobjekte, sondern auch soziale Situationen, die motorisch ausgestaltet werden: Etwa beim Bauen, Ausprobieren und Explorieren, (Bewegungs‑)Spiel, bei Musik und Tanz. Die Auseinandersetzung mit der Umwelt findet im unmittelbaren Erleben und Tun statt. FOKUS: Motorisch-aktives Handeln mit Gegenständen, anderen Personen und dem eigenen Körper. |
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bildlich-darstellende AneignungsformHier fungiert eine »Repräsentationsebene« als Vermittlungsinstanz zwischen Subjekt und Welt: Im Mittelpunkt dieser Handlungsform stehen bildliche oder modellhafte Repräsentationsformen der Wirklichkeit, die nun verfügbar sind. Zum Beispiel in der Arbeit mit Bildern, die entdeckt, gedeutet oder verändert werden, dann mit Gesten oder Gebärden, die nachgeahmt werden können. Aber auch in der Zuhilfenahme von Plänen und gegenständlichen bzw. bildlichen Modellen, um z.B. Sachverhalte zu veranschaulichen. Und zuletzt im darstellenden (Symbol-)Spiel. Diese Handlungsform basiert auf der Fähigkeit zur Imagination, in der Kompetenz, Abbildungen von Wirklichkeit zu erkennen: auf Fotos, gemalten Bildern und Piktogrammen, Plänen und Modellen und von Gebärden.
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konkret-begriffliche AneignungsformIm Fokus des konkret-begrifflichen Handelns stehen die symbolischen Ausdrucksformen der Texte und Kontexte: Märchen, Legenden, Bibelgeschichten usw. Die Verständigung darüber sowie die Reflexion anhand von diskursiven Begriffen sind möglich, außerdem kommen hier in der Regel auch Schriftsprachkompetenzen hinzu. Die Begrifflichkeit ist insofern konkret, als dass sie sehr realitätsnah und an konkreten Merkmalen und Vorgängen festgemacht ist. Schülerinnen und Schüler mit dieser Handlungsform können Situationen, aber auch innerpsychische Gefühle in Kontexte einordnen, sie anhand von konkreten Begriffen reflektieren und mit Texten arbeiten. FOKUS: (Schrift-)sprachlicher Zugang zur Wirklichkeit auf der Basis von lebensnahen Begriffen und in umfasenden Kontexten, z.B. Geschichten. |
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abstrakt-begriffliche AneignungsformSchülerinnen und Schüler mit der Fähigkeit zum abstrakt-begrifflichen Denken sind in der Lage, die konkreten Kontexte und Merkmale von Situationen, Bildern usw. zu überschreiten und in übertragenen Zusammenhängen zu denken. Etwa wenn es darum geht, die subtile Botschaft von Werbeanzeigen zu interpretieren oder die theologische (!) Bedeutung von Symbolen zu erfassen. In den Grenzbereich von konkreter zu abstrakter Begrifflichkeit fällt FOLKUS: (Schrift-)sprachlicher Umgang mit der abstrakten Wirklichkeit auf der Basis von Begriffen, die ihren ursprünglichen, konkreten Kontexten enthoben sind. |
Die Lern-Wege, die hier beschrieben werden, haben einen entwicklungsmäßigen Aspekt, insofern als dass sie in der Entwicklung in der dargestellten Reihenfolge möglich werden. Obwohl die Erfahrung zeigt, dass Schülerinnen und Schüler eine "dominierende" Form der Aneigung von Lerninhalten besitzen (die möglicherweise auch durch das Lernumfeld begünstigt wird), wäre es dennoch falsch, sie nur auf eine Aneignungsform einzuengen. Ziel des Religionsunterrichtes ist es, möglichst viele Lern-Wege zu aktivieren. Allerdings ist es so, dass nicht allen Schülern alle Aneignungsformen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Schülerinnen und Schüler, die sich ihre Umwelt hauptsächlich körperlich-sensorisch erschließen sind über abstrakt-begriffliche Lernwege kaum zu erreichen. Andersherum ist es Schülern, die ihr Wissen konkret-begrifflich organsieren durchaus möglich, körperlich-sensorische und gegenständlich-motorische Lern-Wege zu beschreiten.
Abbildung 1: Entwicklungsmäßiger Aufbau der Aneignungsformen ©Stefan Anderssohn
Ich weise darauf hin, dass das hier vorgestellte Modell der Zugangsweisen Berührungspunkte mit dem Modell aufweist, das Wolfhard Schweiker in seiner Arbeitshilfe zugrundelegt. Ich habe jenes Modell, das ursprünglich aus der Mathematikdidaktik stammt, weiterentwickelt und spezifischer auf den Religionsunterricht hin angepasst. Die einzelnen Schritte und Überlegungen habe ich im "Handbuch inklusiver Religionsunterricht" ausführlich dargelegt.
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