Symbolorientierte Elementarisierung

Ein Hinweis vorab: Als Grundlage für diesen Beitrag empfehle ich die beiden reliforum-Artikel: "Was ist Elementarisierung?" und "Was ist Symboldidaktik?", die Sie auf reliforum.de lesen können (Rubrik "reliforum-Artikel").

Symbole als "gemeinsamer Lerngegenstand"

Das Konzept der symbolorientierten Elementarisierung ist das Herzstück des inklusiven Religionsunterrichtes und stellt ein wichtiges Handwerkszeug für Lehrkräfte dar. 

Symbolorientiert bedeutet,  dass ein Symbol die gedankliche Mitte des Elementarisierungsprozesses bildet bzw. bilden sollte. Dies lässt zunächst an eine simple Reaktivierung der Symboldidaktik denken, die in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts eine sehr populäre Konzeption war. Doch geht das Konzept der symbolorientierten Elementarisierung darüber hinaus: Symbole "als Sprache der Religion" (Paul Tillich) sind nach meiner Auffassung die zentrale religionspädagogische Kommunikationsform. Insofern sollte jede Religionspädagogik in ihrem Inneren immer auch Pädagogik mit Symbolen sein.

Das Symbol ist also ein genuiner Lerngegenstand und ein Kommunikationsmedium der Religionspädagogik. Von daher betrachte ich es für den Religionsunterricht als den "gemeinsamen Lerngegenstand", den Georg Feuser in seiner einflussreichen "entwicklungslogischen Didaktik" als Mittelpunkt aller Lernangebote identifiziert hat. Nur, dass in den Folgejahren kaum Klarheit darüber erzielt wurde, was dieser Lerngegenstand eigentlich sein sollte. Ich schlage vor, Symbole als diese gemeinsamen Lerngegenstände zu betrachten. Damit führe ich mehrere Konzepte zusammen: etwa Karl-Ernst Nipkows und Friedrich Schweitzers Elementarisierungsmodell,  Hans Günter Heimbrocks Vorschlag einer "genetischen Elementarisierung", Feusers Gedanken einer entwicklungslogischen Didaktik und greife mit dem "Symbol" zu einer autochthonen Kategorie der Religionspädagogik. Mit der Symboltheorie, die ich ausgearbeitet habe, ist es nunmehr möglich, diese Ansätze weiterzuführen. Das Ergebnis ist die symbolorientierte Elementarisierung im Religionsunterricht. 

Symbolformen - Symbolkontinuum

Mit den präsentativen und diskursiven Symbolen (s. meinen Artikel "Was ist Symboldidaktik?") haben wir bereits zwei unterschiedliche Symbolfamilien unterschieden. Für mein Modell der symbolorientierten Elementarisierung ist es essentiell, diese beiden "Symboltypen" nicht als gegensätzlich, sondern als sich ergänzend zu betrachten: Präsentative und diskursive Symbole spannen einen breiten Raum auf, aus dem sich der Religionsunterricht bedienen kann.         

 

Abbildung 1: "Symbolkontinuum" - präsentative und diskursive Symbole ergänzen sich © Stefan Anderssohn

Dort, wo präsentative Symbole dominieren, sind diskursive Symbole weniger stark - und umgekehrt. Dies können wir zum Beispiel in einer Kathedrale erleben, wo wir durch die gesamte räumliche, sakrale Atmosphäre angesprochen werden. Hier bedarf es zunächst keiner diskursiven Erläuterung oder Überführung der Kirchenraumsymbolik in Sprache. Andersherum muss das Rezitieren des Psalm 23 nicht durch reale Gegenstände begleitet werden, sondern Worte - diskursive - Symbole - können hier vollkommen ausreichen.

Wichtig ist es aus meiner Sicht, beide Symbolformen: präsentative und diskursive Symbole nicht als gegensätzlich, sondern als komplementär, als sich ergänzend, zu betrachten. Im Grunde sind immer beide vorhanden, nur in unterschiedlicher Gewichtung und in unterschiedlichen Rollen.  Diese komplementäre Sichtweise eröffnet dem Religionsunterricht ein breites Spektrum an Möglichkeiten      

Symbolaspekte und Aneignungsformen

In einem zweiten Gedankengang gilt es, dieses Spektrum für die unterschiedlichen Lern-Wege, d.h. Aneignungsformen zu erschließen. Dabei hilft uns eine weitere Beobachtung - das Vorhandensein der Symbolaspekte. Das Symbolkontinuum zeigt, dass ein Symbol unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen kann: als Gegenstand, Bild, Begriff, Übertragung usw. Diese Erscheinungsformen nenne ich Symbolaspekte. Das Symbol Feuer hat zum Beispiel

  • einen Wahrnehmungsaspekt: z.B: Wärme oder Rauch,
  • einen Tätigkeitsaspekt: z.B. Feuer schüren,
  • einen Bildaspekt, z.B.a als eine Zeichnung, Gemälde,
  • einen begrifflichen Aspekt, z.B: in einer Geschichte, einem Bericht,
  • einen übertragenen Aspekt, z.B., wenn jemand "Feuer und Flamme" ist.    

 

Abbildung 2: Symbolaspekte (Erscheinungsformen eines Symbols) stehen in Beziehung zu Lernwegen und Aneigungsformen ©Stefan Anderssohn 

In einem weiteren Schritt behaupte ich, dass die einzelnen Aspekte in Verbindung stehen mit unterschiedlichen Lern-Wegen: Dass also verschiedene Lern-Wege/Aneigungsformen unterschiedliche Aspekte fokussieren. Von hier aus wird deutlich, warum es Sinn macht, das Symbol als gemeinsamen, zentralen Lerngegenstand zu wählen: Nicht als Gegenstand oder Ding gedacht, sondern als "religionsdidaktische Kategorie", die sich auf verschiedene Aneignungsformen und Zugänge hin differenzieren lässt.

Abbildung 3: Ideenschema zur Entwicklung von Lernangeboten für unterschiedliche Aneignungsformen /Lern-Wege (Dieses Schema können Sie für Ihre Planung als pdf von reliforum.de downloaden: bitte klicken) © Stefan Anderssohn

»Müssen es immer Symbole sein?«

Zugegeben, der meiste Religionsunterricht, den ich kenne - und vermutlich auch der in unserem Land täglich stattfindet -,  hat kein zentrales Symbol als gemeinsamen Lerngegenstand. Damit muss es kein schlechter Religionsunterricht sein. Überhaupt ist mein Modell der symbolorientierten Elementarisierung ja nicht dazu da, fremden Unterricht zu bewerten, sondern Wege zu finden. Denn sobald wir uns als Religionslehrkräfte vor die Aufgabe gestellt sehen, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, die sich ihre Welt auf basale Weise und nicht in diskursiver Gestalt aneignen, dann macht es Sinn auf das Symbol zurückzugreifen. Und mehr noch: In der Tat werden auch in einem sprachlastigen Religionsunterricht Symbole bemüht - in Form von diskursiven Symbolen. Das Konzept der symbolorientierten Elementarisierung hilft dabei, weitere erfahrungsnahe Dimensionen zu erschließen.

     

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Diesen Artikel zitieren:
Stefan Anderssohn (2017): Symbolorientierte Elementarisierung. Verfügbar im Internet: http://reliforum.anderssohn.info/index.php/was-ist-inklusiver-ru/symbolorientierte-elementarisierung [zuletzt geprüft am: Ihr Abrufdatum]